Deutsche Gesellschaft für Pastoralpsychologie e.V.

Interreligiöse Beratung und Seelsorge

Interreligiöse Aspekte der eigenen Arbeit werden für christliche TheologInnen dann deutlich zum Stichwort, wenn es um Kasualhandlungen geht: Wenn etwa ein Brautpaar aus unterschiedlichen Kulturen vor ihnen sitzt.
Der deutsche evangelische Ehemann und die türkische Muslima möchten evangelisch getraut werden. Was ist zu wissen, zu beachten? 
Der Sohn aus einer bikulturellen Familie soll nach dem Wunsch der christlichen Großeltern evangelisch getauft werden, nach dem Wunsch der islamischen Großeltern aber soll er beschnitten werden. Mit beiden religiösen Ritualen ist eine Menge theologischen Traditionsgutes der beiden Religionen Christentum und Islam verbunden, aber es geht auch um aktuelle Erwartungen und Zukunftshoffnungen in dieser Familie. Ist der Vater Muslim, so mag ein Teil seiner Anerkennung als Mann und Familienvater an der Durchsetzung der Beschneidung hängen, für die christliche Mutter wiederum mögen emanzipatorische Erwägungen über die Rolle der Frauen in beiden Religionen mitwirken, wenn sie lieber eine Taufe wünscht.
Selbst wenn das Ritual wegen der Kontroversen nicht vollzogen oder auf ein späteres Lebensalter des Kindes verschoben wird – die Fragen der religiösen und kulturellen Sozialisation durchziehen das Leben des Paares. Rituale und Denktraditionen beider Religionen müssen bekannt sein – von Geburt bis zum Tod. Sie müssen deutbar sein, und damit müssen sie in das Verstehen der Geschichte der Menschen aus beiden Kulturen und Religionen eingebettet werden können.
Punktuelle Begleitung in Kasualien, aber noch mehr Beratung und Seelsorge in Krisen – und Lebensberatung, in der Notfallseelsorge, ist darauf angewiesen, die jeweiligen Hintergründe zu kennen, die in einen bikulturellen und bireligiösen Begleitungs – und Beratungskontext einfließen.
Wer fragt wen, wer darf an wen einen Anspruch stellen, wer nimmt auf wen Rücksicht? Gibt es Hierarchievorstellungen nach Alter, Geschlecht, sozialem Status? 
Welche eschatologischen Vorstellungen tragen die Religionen mit sich? Wie können die jeweiligen Dimensionen  angesprochen werden, wie können sie bearbeitet und als relevant oder irrelevant für die derzeitige Situation angesehen werden? 
Mit diesem kurzen Beispielkatalog ist angerissen, was innerhalb einer Fortbildung für interreligiöse Beratung und Seelsorge Thema werden  kann. Interreligiöse Fragen gehören heute notwendig in den Kontext von Seelsorge - und Beratungsausbildungen; sie erweitern und ergänzen die Facetten methodisch fundierter Beratung und Seelsorge.

Einführende Literatur: Ulrike Elsdörfer, Medizin, Psychologie und Beratung im Islam
Königstein 2007
Dies., Globale Religionen, Königstein 2008
Christoph Schneider-Harpprecht, Interkulturelle Seelsorge, 
Göttingen 2001

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