Bitte geben Sie Ihren Benutzernamen und Ihr Passwort ein, um sich an der Website anzumelden.
Im Arbeitsfeld Seelsorge vergibt die DGfP das Zertifikat "Pastoralpsychologische Seelsorge". Näheres dazu findet sich unter ZERTIFIKATE .
1. Was bedeutet für mich pastoralpsychologische Seelsorge?
In der Gemeinde begegnen mir Menschen im Alltag, an Sonntagen und an Wendepunkten des Lebens. Als Pfarrerin bin ich gefragt zu begleiten in Freud und Leid, im öffentlichen und privaten Raum, rituell oder sakramental. Seelsorge geschieht mit Worten, im Schweigen, mit Zeichen, Liedern und gerne auch mit Humor.
Dabei brauche ich in meiner seelsorgerlichen Arbeit Wissen und Handwerkszeug über Liturgie und Exegese hinaus und profitiere neben der Theologie von Schwesterwissenschaften wie Pädagogik und Psychologie. Die Durchführung von Kasualien benötigt lebensbiographisches Wissen und die Reflexion des eigenen Weges und Standpunktes.
Pastoralpsychologische Seelsorge berücksichtigt, dass beide Seiten, Seelsorge-Suchende und Seelsorger:in, Kinder Gottes sind. In dieser Perspektive wird ein gemeinsamer Raum in der Gegenwart Gottes eröffnet.
2. Wie gestalte ich „pastoralpsychologische Seelsorge“ konkret in meinem Arbeitsfeld?
Seelsorge durchdringt in meiner beruflichen Praxis auch die Arbeitsfelder, die zunächst vielleicht weniger mit Seelsorge in Verbindung gebracht werden. Pastoralpsychologische Seelsorge bildet sich im Leitungsstil, in der Gruppenarbeit mit unterschiedlichen Ziel- und Altersgruppen, im Gottesdienst, bei Kasualien und in vielen Gesprächssituationen ab.
Bei aller Unterschiedlichkeit des jeweiligen Ortes und Anlasses sind die Muster ähnlich: Zeit geben zum Ankommen und Wahrnehmen. Einen sicheren Raum schaffen und Regeln klären. Die Grenzen meines Gegenübers achten. Zuhören. Nachfragen. Deutungen probieren. Dabei im Kontakt bleiben mit mir. Fragen und Sehnsüchte offen halten und gleichzeitig Realitäten anerkennen. Sackgassen aushalten und trotzdem von der Hoffnung nicht schweigen.
3. Worin besteht für mich die Schnittmenge in der Seelsorge zwischen meinem theologischen und meinem sektionsspezifischen pastoralpsychologischen Ansatz?
Mein Ausgangspunkt ist die Gestaltseelsorge. In der Gestaltarbeit geht es um Echtheit, Empathie, Awareness, um die Begegnung im Hier-und-Jetzt zwischen mir als Seelsorgerin und meinem Gegenüber. Der Gestalt-Ansatz geht davon aus, dass alle Menschen ein Veränderungs- und Entwicklungspotential haben – im Rahmen eigener und sehr unterschiedlicher Möglichkeiten.
Es gibt Techniken, Verfahren, Hilfreiches und definitiv Weniger-Hilfreiches und gleichzeitig ist Seelsorge immer auch unverfügbar: ich kann sie nicht „machen“. Sie geschieht zwischen Menschen und rechnet mit der unverfügbaren Gegenwart Gottes. Wie in der Emmaus-Erzählung in Lk 24 ist dieser Moment nicht festhaltbar und oft nur in der Rückschau erfassbar. Begegnung zwischen Menschen sowie Mensch und Gott ist ein kostbares und berührendes Geschenk.
Saskia Karpenstein, Recklinghausen
Pfarrerin, Pastoralpsychologin
Supervisorin (DGfP), Gestaltseelsorge
Superintendentin
Sie sind wie Geschwister in meiner Berufsbiografie: Das „Pastorale“ und das „Psychologische“. Ich brauche beide ganz essenziell, um den Herausforderungen im Krankenhaus gewachsen zu sein.
Denn Klinikseelsorge bedeutet ja, im Auftrag Jesu Kranke zu besuchen. Konkret heißt das für mich, immer wieder losgehen hin zu den Menschen im Krankenhaus und mich so wie ich bin auf die Begegnung mit ihnen einzulassen, ohne schon vorher zu wissen, was geschehen wird. Dabei aber auch nicht absichtslos zu kommen, sondern bereit zu sein, mich mit meinem Gegenüber auf die Suche zu begeben nach den Hoffnungsspuren, die sich vielleicht abzeichnen. Oder gemeinsam zu entdecken versuchen, welche tragfähigen Vergewisserungen es wieder geben kann.
Für mich ist es eine der größten, schwersten und schönsten Herausforderungen, denen wir uns als Klinikseelsorger*innen täglich stellen, Worte zu finden, Ausdruck, Gesten und Riten für das, was Menschen in Leben und Glauben brauchen, so dass sie sich darin wiederfinden, gemeint und geborgen fühlen. Auch wenn es manchmal der einzige Trost zu sein scheint, dass wir die Trostlosigkeit mit aushalten. Hin und wieder fühle ich mich dabei, als arbeite ich im Grenzgebiet - nämlich an der Grenze des Bewährten, des Vertrauten, an der Grenze menschlicher Möglichkeiten, oft auch des Sprachlichen, des Glaubens, aber auch an den Schnittstellen zu anderen Wirklichkeitssichten, sehr oft an der Grenze zwischen Leben und Tod. Doch gerade die Bibel bezeugt uns ja, dass der Geist Gottes ein Grenzgänger und Grenzüberwinder ist.
Vielleicht wird so schon verständlicher, dass es also für diese Arbeit unbedingt beides braucht: Das „Pastorale“ und das „Psychologische“. Ich selber habe es in meiner KSA-Ausbildung gefunden und kann sie allen, die in der Klinikseelsorge arbeiten wollen, nur weiter empfehlen. Denn da wird kein trockener Stoff vermittelt, sondern erfahrungsbezogen gelernt. KSAler gehen in die Seelsorgepraxis und reflektieren anschließend in der Ausbildungsgruppe, was sie erlebt haben. Dabei werden sie auch hilfreiche Theoriekonzepte aus Theologie und Humanwissenschaften nutzen, die zum tieferen Verstehen beitragen.
Erst so wird Lernen nachhaltig möglich und verflüchtigt sich nicht schnell wie angepauktes Wissen nach einer Prüfung. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen: DGfP-Wege sind Entwicklungswege. Und das vielleicht Wertvollste daran: Wer sie nutzt, setzt sich nicht nur mit dem auseinander, was andere betrifft, sondern auch mit der eigenen Person. Denn nur, wenn ich mich als Seelsorgerin selber besser kennenlerne, kann ich mich wirklich auf andere Menschen einlassen.
Ich kann hier nur skizzieren, was pastoralpsychologische Seelsorge in allem Schweren sinnhaft, spannend und wertvoll macht. Doch wer sich darauf einlässt, mag selbst erfahren: Sie bringt uns in Berührung mit den wesentlichen, den aufrichtigen, den tragenden Dingen im Leben und das heißt ja auch mit einem Leben eröffnenden Glauben.
Annette Sachse, Pfarrerin in der Klinikseelsorge – Charité – Campus Benjamin Franklin, Berlin – Steglitz, Beraterin und Lehrsupervisorin (DGfP), KSA-Kursleiterin
Pastoralpsychologisch orientierte Seelsorge als Arbeits- und Handlungsfeld verbindet für mich theologisches Denken und psychologische Verstehensmodi und eröffnet so einen eigenen hermeneutischen Zirkel.
In einer gelingenden Begegnung von Mensch zu Mensch, in einer konkreten Gesprächssituation erfährt ein Mensch Annahme (Tillich). Dies eröffnet Raum zum Erzählen, Fragen, Suchen, Entdecken von Lebensmöglichkeiten in einem gehaltenen Rahmen. Dabei können u.a. Gelingen und Scheitern, Dankbarkeit und Schuld, Lob und Klage sowie Umkehr, Vergebung und Neuanfang zur Sprache kommen. Im seelsorglichen Kontakt können sowohl eigene Lebenserfahrungen reflektiert werden, als auch neue Lebenschancen in den Blick kommen. Im Idealfall lockert sich eine Lebenshemmung, gelingt es im Kontakt, Schritte in Freiheit zu setzen, realistische Möglichkeiten in den Blick zu nehmen und eigene Grenzen zu sehen und zu akzeptieren (Realitätsprinzip nach S. Freud).
Als pastoralpsychologisch orientierte Seelsorgerin bewege ich mich mit in diesem besonderen hermeneutischen Zirkel, als Begleiterin und manchmal auch als Gegenüber. Dabei sind die analytischen Verstehenshilfen von Übertragung und Gegenübertragung für mich unverzichtbar. Dazu gehört auch die Bedeutung des Unbewussten, das im seelsorglichen Kontakt "aufblitzt".
Seelsorge für und mit Älteren, Alten und Hochbetagten nimmt Menschen in unterschiedlichen Lebensjahrzehnten in den Blick. Hier hilft nur die „ars differendi“! Lebensformen und -orte sowie die damit verbundenen Wünsche und das, was als sinnstiftend erlebt wird, sind z.B. für Menschen bei Eintritt in den Ruhestand schon sehr unterschiedlich. Dies setzt sich fort, auch für Menschen, die ihre letzte Lebensphase im Alten- oder Pflegeheim verbringen. In jedem Falle kann seelsorgliche Begleitung hilfreich sein, das eigene Leben zu reflektieren, in diesem Lebensabschnitt entstehende Krisen zu durchleben, eigene Ressourcen zu entdecken und Neues zu wagen (lebenslanges Lernen). Nicht nur im Hinblick auf das Lebensende entstehen spirituelle Fragen und Wünsche, die in der seelsorglichen Begegnung Raum finden. Im Laufe der Zeit in diesem Arbeitsfeld erlebe ich, dass geriatrische und gerontologische sowie medizinethische Kenntnisse unabdingbar sind und die Zusammenarbeit mit Expert*innen aus diesen Arbeitsbereichen fruchtbar ist. Dies gilt auch für den Bereich der Palliativmedizin und der Hospizarbeit.
Ute Rokahr, pastoralpsychologische Beraterin (Sektion T), Göttingen
Seelsorge ist, so sie Muttersprache der Kirche sein möchte, per se pastoral ausgerichtet. Seelsorge, so sie sich als kommunikatives Interaktionsgeschehen versteht, bedient sich aus dem Werkzeugkoffer psychotherapeutischer Schulen. Trotz des Werkzeugs der Psychotherapie treibt Seelsorge nichts anderes als ihr Name es sagt. Seelsorge hat keinen therapeutischen Auftrag. Dessen sich zu besinnen und von Psychotherapie sich zu unterscheiden, gibt der Seelsorge in der Psychiatrie ihren unverwechselbaren Platz.
Da es mir als Seelsorger in der Psychiatrie nicht anders möglich ist, als mit dem Werkzeugkoffer der psychologischen Psychotherapie unterwegs zu sein, betreibe ich stets zwei Dinge in einem. Ich treibe Seelsorge mit Hilfe der mir zur Verfügung stehenden Werkzeuge. Und Seelsorger bin ich in der Psychiatrie nur deshalb, weil ich dafür einen von der Kirche ausgesprochenen und somit pastoralen Auftrag habe. Anders besäße ich keinen Schlüssel für keine Station.
Die aus der systemischen Therapie stammende und von mir abgewandelte Wunderfrage: „Wenn in unserem Kreis auf diesem leerstehenden Stuhl eine Fee sitzen würde, die die Fähigkeit besitzt, auf eine mich beschäftigende aber bisher nicht beantwortbare Frage, eine Antwort zu geben, welche Frage würde ich dieser Fee jetzt stellen wollen?“ - Diese Frage, in einer Gesprächsgruppe von Patient*innen in der Psychiatrie von mir als Pfarrer gestellt, generiert Fragen, Anliegen und Problemstellungen, die nicht unabhängig von mir als pastoralen Person sind. Anders gesagt: Die gleiche Frage von der Oberärztin gestellt, würde den Patient*innen gänzlich andere Fragen entlocken.
Theologie und Psychologie fallen, wie unter 1. und 2. Von mir beschrieben, in der Seelsorge in ein zwar voneinander unterscheidbares doch gleichzeitig untrennbares Eins. Seelsorge besitzt deshalb keine Schnittmenge zwischen zwei voneinander unterschiedenen Wissenschaften, der Theologie und der Psychologie. Vielmehr heben sich beide Disziplinen in der Seelsorge in ein Neues auf. Und darin besteht für mich als systemisch orientierter Seelsorger mein sektionsspezifischer Ansatz in der Seelsorge schlechthin und in der Psychiatrie im Besonderen.
Pastoralpsychologische Seelsorge verstehe ich als Begegnung in frei schwebender Aufmerksamkeit. Ausgangspunkt ist das Hier-und-Jetzt der Situation, deren Resonanz in Worte gefasst werden soll. Ziel ist die Akzeptanz der Realität, um sie gestalten und verändern oder auch nur in einem veränderten Blickwinkel wahrnehmen zu können. Grob umrissen geschieht das in drei Schritten: 1. „Es ist so:...“ (erzählen, was erlebt wurde), 2. „Ist es so?“ (gemeinsame Realitätsprüfung) und 3. „So ist es.“ (gemeinsames Anerkennen der Realität).
Der Gottesbezug des Seelsorgers, der bei vielen Klientenkontakten zumindest implizit im Raum steht, bedeutet für mich eine Triangulierung der Beziehung durch eine transzendierende „Instanz“, zu der sowohl Seelsorger wie auch Klient unmittelbar sind. „Sub specie Dei“ ist so allen Statusunterschieden zum Trotz auch eine Beziehung auf Augenhöhe möglich.
Seelsorge im „totalen System“ des Eingeschlossen-Seins in Gefängniszellen braucht den „Asyl-Raum“ als Ort der Begegnung. Deshalb habe ich in meinem Büro viele Bilder an der Wand, die als Gesprächsimpulse dienen können und eine Wohnraummöblierung, die sich deutlich von den Amtszimmern der JVA abhebt. Damit soll die „Exterritorialität“ der Seelsorge gegenüber dem Vollzugssystem unmittelbar deutlich werden.
Innerhalb dieses Rahmens kann Seelsorge dann neben der solidarisch anteilnehmenden Seite auch konfrontative Anteile entfalten, die ich oft als beziehungsklärend und -vertiefend erlebe. Dabei spielt natürlich auch die Diskretion des Beichtgeheimnisses eine grundlegende Rolle.
Theologisch zentraler Bezugspunkt ist für meine Arbeit die Rechtfertigungslehre, die sich konkret in einer Haltung der Akzeptanz darstellt. Das konvergiert mit dem tiefenpsychologischen Modus der gleichschwebenden Aufmerksamkeit, wie ihn Sigmund Freud für die analytische Situation vorsah. Innerhalb der JVA als einem Universum von Versionen der Wirklichkeit arbeite ich mit der mir vom Gegenüber präsentierten Perspektive, also mit einem beziehungsimmanenten Rahmen – in der Regel ohne externes Aktenstudium.
Der zweite grundlegende Aspekt der Rechtfertigung, die Unterscheidung der Person (die anerkannt wird) von ihrem Werk (das dem Urteil unterliegt), ermöglicht mir angesichts der oft an meinem Tisch versammelten Taten allererst die Arbeit mit den Tätern.
Als Pfarrer*in in der Militärseelsorge begleite ich Soldat*innen und zivile Mitarbeiter*innen mit ihren Familien besonders auch in den Herausforderungen ihres Lebens, das gilt sowohl während des Dienstes in Deutschland als auch im Auslandseinsatz. Die Kenntnisse, die ich in der pastoralpsychologischen Seelsorgeausbildungen erwerben durfte, helfen mir, in Zusammenarbeit mit anderen Mitgliedern des psychosozialen Netzwerks (z.B. Psychologie, Sanität, Sozialdienst), die Menschen, die Unterstützung brauchen, adäquat zu begleiten. Besonders wichtig ist dabei, dass ich in verschiedenen Kontexten meine Rolle und meine Aufgaben, auch in gerade in Abgrenzung und in Ergänzung zu anderen Gebieten der psychosozialen Begleitung gut für mich klären konnte, so dass eine konstruktive Zusammenarbeit entstehen kann.
Wenn ich Student*innen und Mitarbeiter*innen an der Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr sowie Patient*innen, Angehörige und Mitarbeiter*innen im Bundeswehrkrankenhaus begleite, helfen mir vor allem die Methoden, die ich im Bereich der KSA und Supervisoren-Ausbildung kennen gelernt habe. Ich kann in vielfältiger Weise agieren, initiieren und vor allem auch kooperieren. In beiden Arbeitskontexten stehe ich außerhalb der „Hierarchie“, bin aber trotzdem kompetent und weiß um die organisationalen Herausforderungen mit ihren Auswirkungen auf die dort arbeitenden Menschen. Das ermöglicht mir eine kontinuierliche und zumeist auch ermutigende Begleitung, in der ich anbieten kann, was ansonsten häufig eine sehr knappe Ressource ist: Zeit, auch für wiederholte Gespräche, die die Möglichkeit geben, einen Gesprächsbogen zu entwickeln. Spannend ist für mich auch die Arbeit im Bereich Interkulturelle Kompetenz, in dem ich regelmäßig herausgefordert werde, über meinen Glauben und meine religiösen Überzeugungen so erzählen, dass sie für Menschen mit anderen religiösen und kulturellen Hintergründen verständlich werden. Und ich darf genau so von ihnen lernen und meinen Horizont erweitern.
Die Emmaus-Jünger und ihre Begleitung durch Jesus sind für mich eines der wichtigsten Bilder für seelsorgerliche Begleitung. Es geht nicht darum, immer gleich eine Lösung zu präsentieren und die Welt zu erklären, sondern zunächst einmal darum zuzuhören und zu verstehen, worum es bei meinem Gesprächspartner / meiner Gesprächspartnerin wirklich geht. Gerade in der letzten Zeit habe ich – ohne mich in irgendeiner Weise parallelisieren zu wollen – entdeckt, wie hilfreich Gespräche im „Gehen“ sein können. Durch die vielfältigen, im medizinischen Kontext häufig noch stärker ausgeprägten Kontaktbeschränkungen und Hygiene-Vorschriften, die Gespräche innerhalb von Gebäuden häufig schwer und anstrengend machten, wurden Spaziergänge draußen zu einem hervorragenden Ort der offenen Kommunikation. Die Konfessionszugehörigkeit meines Gesprächspartners / meiner Gesprächspartnerin spielt dabei für mich keine Rolle, ich bin selbstverständlich offen für religiöse Fragen, erzwinge sie aber niemals. Wenn ich die Achtung vor dem Menschen und seiner individuellen Entwicklung, die Förderung der Beziehungsfähigkeit und die Förderung individueller und sozialer Verantwortung als wichtige Themen in der Gestaltseelsorge identifiziere, habe ich in meinen Arbeitsfeldern hervorragende Möglichkeiten, Menschen bei diesen Herausforderungen zu begleiten.
ThDr. Michael Rohde, Militärdekan an der Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr und im Bundeswehrkrankenhaus Hamburg
Ich arbeite seit 1990 im Feld der TelefonSeelsorge, weil ich dort die beiden Professionen des Theologen und Psychologen hervorragend verbinden kann.
Hier geht es zum einen um die Begleitung der Ehrenamtlichen, die den Dienst am Krisentelefon leisten, zum andern um die Begleitung von Menschen (Einzelne und Paare), die in die Krisen- und Lebensberatungsstelle der TelefonSeelsorge in Mainz oder Wiesbaden kommen.
Für die Qualität der menschlichen Begegnung am Krisentelefon – oder auch online per Mail oder Chat – ist schon die Auswahl, dann die intensive einjährige Ausbildung (Selbsterfahrung, Gesprächsführung, Hospitation) und die kontinuierliche Begleitung in Supervision und Fortbildung der ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen von entscheidender Bedeutung. Pastoralpsychologisch-seelsorgerliches Leitungshandeln in der TelefonSeelsorge umfasst besonders das personzentrierte Lernen in der Gruppe und die personzentrierte Gesprächsseelsorge. Ziel ist es, die Mitarbeiter*innen dazu zu befähigen, einen empathischen, wertschätzenden und kongruenten Kontakt zwischen den ratsuchenden Anrufern und dem Seelsorger, der Seelsorgerin zu gestalten. Besonders gefördert werden die Einsicht in das eigene Rollenhandeln und die Motive und Grenzen des Helfen-Wollens. Dabei entstehen persönliche Wachstumsprozesse, die sich in der Lern- und Dienstgemeinschaft vor Ort langfristig für den Einzelnen und die Gemeinschaft positiv bemerkbar machen. Viele Ehrenamtliche arbeiten über Jahre in der TelefonSeelsorge mit.
TelefonSeelsorge ist aktives Zuhören ‚par excellence‘. Herausfordernd und anspruchsvoll, weil es die Bandbreite von Erstanrufen in akuten bis hin zu suizidalen Krisen, wiederholten Anrufen von Menschen in chronischen Krisen (seelischen wie körperlichen), und Tages- und Nachtritualen von Anrufenden, die in ihrem Alltag nicht zurechtkommen und einsam sind, umfasst.
In der Krisen- und Lebensberatung face-to-face können Menschen sehr niedrigschwellig mit ihrem Anliegen und Leiden zum Gespräch kommen, ohne sich wie im Gesundheitssystem ausweisen zu müssen. Es sind einmalige Kontakte, kurzfristige Reihen und auch längere Begleitungen möglich.
Meine seelsorgliche Grundhaltung ist dabei getragen von der Überzeugung und Hoffnung, dass alles menschliche Bemühen, besonders in der Krise und im Scheitern, umfangen ist von der Zuwendung Gottes und so auch erfahren werden kann: „Du bist ein von Gott angenommener Mensch“.
Dr. Christopher Linden, katholischer Theologe und Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut, Pastoralpsychologe; Ordentliches Mitglied in der DGfP, Sektion PPS, Ausbilder und Supervisor seit 1992; Paartherapeut (Beziehungsanalyse)
Als Pfarrerin für Notfallseelsorge kann ich mir meine Tätigkeit ohne pastoralpsychologische Kompetenzen nicht vorstellen. Gesprächsführung mit Betroffenen in Krisen, Psychotraumatologie, Stressbewältigung, Ressourcenaktivierung: Diese Stichwörter zeigen, dass Notfallseelsorge die Erkenntnisse der Notfallpsychologie aufnimmt und professionell zusammen mit den anderen Akteuren der psychosozialen Notfallversorgung agiert. Als Notfallseelsorge repräsentiert sie dabei die Hoffnung, dass die Menschenfreundlichkeit Gottes auch im Leid spürbar ist. Sie verkörpert diakonische Zuwendung zu Menschen in Not unabhängig von Religion oder Kultur. Sie lässt sich Fragen nach Sinn stellen und hält mit den Betroffenen die Leere aus. Sie scheut die Konfrontation mit dem Tod nicht und bringt ihre Ritualkompetenz sensibel ein.
Als pastoralpsychologisch geschulte Seelsorgerin verfüge ich über Methoden der Gesprächsführung und psychologische Kenntnisse, die mich befähigen, Menschen in Krisen zu begleiten. Mehr als Techniken und Wissen sind es aber die Haltungen, die ich einnehme und in der Ausbildung auch den ehrenamtlichen Notfallseelsorger*innen vermittle: Empathie und Wertfreiheit in der seelsorglichen Begegnung, Lösungsneutralität, Reflektion der eigenen Rolle, Selbstfürsorge und Demut. Meine pastoralpsychologischen Ausbildungen (KSA, systemische Seelsorge) helfen mir, diese Haltungen selbstkritisch zu überprüfen und immer neu einzuüben.
Systemische Seelsorge fragt nach Beziehungen und Kontexten. Sie traut Menschen zu, aus eigener Kraft Lösungen zu finden und betrachtet Probleme als Teil dieser Lösungsversuche. Sie stärkt Menschen dabei, ihre Ressourcen zu entwickeln. Sie bleibt neugierig, zugewandt und verliert ihren Humor nicht. Sie ist hoffnungsorientiert, denn sie rechnet mit unerwarteten Entwicklungen und kreativen Lösungen. Systemischer Ansatz und theologische Prägung ergänzen sich für mich aufs Beste in der Systemischen Seelsorge.
Pastoralpsychologische Seelsorge bedeutet für mich: Ein Mitgehen mit dem jeweiligen Menschen in der jeweiligen Situation. Und dann zusammen herausfinden: Was möchten, was brauchen diese jeweiligen Menschen? Welche Ziele haben sie? Wie kann das, was sich im Augenblick für sie ungut anfühlt, verbessert werden? Dabei benutze ich den Werkzeugkoffer der Systemischen Familientherapie so wie der TZI. Das alles tue ich als Pfarrerin, die ein vom Glauben und von der Bibel geprägtes Menschenbild hat. In manchen Gesprächen ist letzteres von Bedeutung, in anderen ist es das nicht. Beides ist für mich gleichwertige Seelsorge.
Seit 20 Jahren arbeite ich als Seelsorgerin (Unterricht und Beratung) an einem Berufskolleg mit ca. 2000 Schülerinnen und Schülern und ca. 100 Lehrerinnen und Lehrern, ein großes System. Neben dem normalen Schul- und Prüfungsalltag mit Lehrenden und Lernenden gibt es hier mich als Seelsorgerin. So bin ich im System Schule fest verortet und bin es dennoch auch wieder nicht. Und so werde ich oft auch wahrgenommen. Mein Gehalt beziehe ich von der Kirche, nicht wie die Lehrenden vom Staat. Mein Chef ist der Superintendent, nicht die Schulleiterin. Dieses und etliches Andere bewirken, dass ich einerseits mitten im Schulalltag stehe und gleichzeitig etwas abseits davon. Und genau dies schätze ich. Aus pastoralpsychologischer Sicht benutze ich in diesem System die Tools meiner therapeutischen und meiner anderen Ausbildungen und habe gleichzeitig die innere Haltung eines getauften Christenmenschen, ich bin eben Seelsorgerin. So kommen mir u.A.in Gesprächen immer mal wieder biblische Geschichten in den Sinn, die ich dann hin und wieder nutzen kann. Gerade muslimische Schüler, übrigens, schätzen meinen religiösen Hintergrund, er macht es ihnen oft leichter, sich mir anzuvertrauen.
„Schnittmenge“ impliziert für mich, dass zwei von einander getrennte Bereiche übereinander gelegt werden und dass dann das Gemeinsame in der Mitte gesucht wird. Das sehe ich hier nicht.
Nach vielen Jahren, in denen ich als Pfarrerin in unterschiedlichen Feldern tätig war, habe ich das „theologische“ sozusagen als eine innere Haltung adaptiert (sonst würde ich nicht mehr als Seelsorgerin arbeiten). So muss und will ich weder ständig über meinen theologischen Ansatz nachdenken noch darüber reden (beides nur ab und zu). Was ich tue, mein Handeln, das passiert auf diesem Hintergrund. Meine therapeutische Ausbildung benutze ich dabei, wie gesagt, als Werkzeuge. Systemisch könnte man auch fragen: Was macht es für einen Unterschied in meiner Arbeit, wenn ich Seelsorgerin wäre ohne Zusatzausbildung oder - umgekehrt – wenn ich Schulberatung anbieten würde ohne Seelsorgerin zu sein? Ich sehe es so: Um meine seelsorgerliche Arbeit professionell ausüben zu können, gehört für mich beides untrennbar zusammen.
Auch in Seelsorgegesprächen spielen Beziehungsphänomene wie Übertragung und Gegenübertragung eine Rolle. Ich nutze sie zum Wahrnehmen, dessen, was da gerade passiert. Mir ist es wichtig, eine Metaebene zur Verfügung zu haben, die mir erlaubt, das Gespräch besser zu verstehen, auch im Blick auf Rollenübernahme, Rahmen, Erwartungen oder unbewußt zugrundeliegender Matrix. So wichtig ich es finde, sich hineinverwickeln zu lassen in das, was im Moment im Gespräch passiert, so hilfreich ist es, wenigstens im Nachhinein mit Hilfe pastoralpsychologischer Konzepte
reflektieren zu können, wie solche - und viele andere - Faktoren die Dynamik der Begegnung prägen.
Ich nutze also, so gut es geht, in der Begegnung mit Einzelnen, Gruppen und Teams das psychologische, therapeutische und psychiatrische Wissen, das die pastoralpsychologische Fort- und Weiterbildung und meine Qualifikation als Gruppenanalytikerin bereitstellt. Dabei nehme ich - z.B. in Gruppen und Teams - die Reaktionen der Gruppe auf bestimmte Klienten und Situationen als Spiegelphänomene wahr, die zum Verstehen der Beziehungsdynamik helfen.
Ich nehme zudem die theologische Tradition als ein Reservoir von Assoziationen, Bildern und Deutungsmustern wahr. All das erweitert die spirituelle Wahrnehmungs- und Ausdrucksfähigkeit und hilft, auch über das Gespräch hinaus Rituale zu entdecken, die in unsicheren Zeiten stabilisieren.
In der Cityseelsorge führen wir Gespräche in einem verläßlichen Rahmen, unter regelmäßiger externer Supervision, immer im Bewußtsein, daß sich hinter einer theologischen Frage, mit der ein Klient / eine Klientin kommt, eine sehr persönliche verbergen kann - und umgekehrt. Die Situation der „Offenen Tür - Cityseelsorge“ mit ihren Beratungsräumen im Eingangsbereich der Jakobskirche im Zentrum Nürnbergs, also buchstäblich auf der Schwelle zwischen dem Profanen und dem Sakralen, erlaubt es Menschen, genau mit dem zu kommen, was ihnen zunächst am Leichtesten anzusprechen fällt - und dann im gemeinsamen Gespräch zu entdecken, daß es möglicherweise auch um andere, verborgenere Fragen geht. Die Cityseelsorge bietet so als ein extrem einfach zugängliches Seelsorgeangebot einen Rahmen, in dem Selbstklärung möglich ist. Wir ermöglichen damit einerseits verläßliche Begleitung über längere Zeit, bahnen aber unter Umständen auch den Weg zu weiteren (therapeutischen und beraterischen) Hilfen. Meine pastoralpsychologische Orientierung hilft mir dabei, meinen Mitarbeitenden im Team, unseren Klienten und Klientinnen und nicht zuletzt mir selbst die Vielfalt an hilfreichen Klärungsmöglichkeiten bewußt zu machen.
Es gibt für mich weniger die eine Schnittmenge zwischen theologischem und pastoralpsychologischem Ansatz, vielmehr ein immer neu spannendes sich gegenseitig Bereichern und Beleuchten von Theologie und tiefenpsychologisch orientierter Pastoralpsychologie. Diese Gegenseitigkeit beschränkt sich dabei nicht nur auf Seelsorgegespräche, sie wird auch in Predigten und Gottesdienstgestaltung deutlich.
Barbara Hauck, Pfarrerin, Leiterin „Offene Tür - Cityseelsorge an St.Jakob“, Nürnberg
Angesichts der spürbaren Endlichkeit eines menschlichen Lebens entstehen existentielle Fragen, die sterbende Menschen in sich tragen, die sie umtreiben und manchmal auch daran hindern „gut“ sterben zu können. Pastoralpsychologische Seelsorge hat m.E. als zentralen Auftrag, diese Fragen, die damit verbundenen Suchbewegungen und den spirituellen Schmerz von Menschen zu begleiten. Dazu gehören möglichst weite Begegnungsräume, die Seelsorgende zu öffnen und zu gestalten in der Lage sein sollten. Es geht um eine gut reflektierte Begleitung in einer Haltung, die sterbende Menschen auch in ihrem Sterben Achtung schenkt und Selbstbestimmung gewährt. „Wer begleitet, geht nicht voran.“
Die Gestaltung von pastoralpsychologischer Seelsorge im Hospizbereich hat zentral mit einer bewussten und geschulten Haltung zu tun. Dabei geht es um Absichtslosigkeit im Kontakt, um ein aufmerksames Hinhören und um Angebote- nicht mehr und nicht weniger. Für das, was ich tue, benötige ich einen Auftrag, den mir letztendlich nur der konkrete sterbende Mensch geben kann. Mit einem solchen Auftrag bin ich dann gefragt, präsent zu sein und in dieser Präsenz quasi als Resonanzkörper zur Verfügung zu stehen – im Hören, im Sprechen und (nicht zuletzt) im Schweigen.
Die Schnittmenge zwischen meiner theologischen Identität und meiner Identität als personzentrierter Begleiter sehe ich darin, dass es zentral darum geht, Menschen in ihrem Subjektsein und mit Ihren Ressourcen und in ihrer Würde anzusprechen und ihnen so zu begegnen. Helfende Begleitung kann nur auf Augenhöhe geschehen und in dem Bewusstsein, dass ich als Begleiter*in hilflos bin ohne die Ressourcen meines Gegenübers – auch in der Sterbebegleitung. Zentral ist für mich die Frage des Jesus von Nazareth an den um Hilfe und Zuwendung rufenden Blinden Bartimäus. Es ist eine durch und durch personzentrierte Frage: „Was willst Du, dass ich Dir tun soll?“ (Mk. 10,51)
In der pastoralpsychologisch-seelsorgerlichen Begleitung Trauernder verbindet sich das Fach-Wissen um Trauer und Trauernde, um verschiedene Trauermodelle und Erkenntnisse aus der Trauerforschung mit seelsorgerlicher Kompetenz. Sie schafft einen sicheren Raum, in dem Begegnung möglich ist, Beziehung entsteht. In dem Trauer mit all ihren Facetten sein darf, erzählt und gehört und aus-gehalten wird. In dem Stärkung geschieht und nächste Schritte möglich werden.
Durch Angebote von Trauerbegleitung für Einzelpersonen, Paare und Familien und Trauergruppen. Durch enge Zusammenarbeit mit niedergelassenen Psychotherapeut*innen. Durch die Gestaltung seelsorgerlicher Gottesdienste wie z.B. einen Erinnerungsgottesdienst am Ewigkeitssonntag, wo die Gottesdienstbesucher*innen die Namen derer aufschreiben, um die sie trauern, egal wie lange der Tod zurückliegt, der Gedenkgottesdienst für verstorbene Kinder und Geschwister am 2. Sonntag im Dezember oder die Gestaltung von Erinnerungsfeiern für Schulklassen …
Schon in den Schöpfungsgeschichten der Bibel wird sichtbar, dass ein Mensch immer in Beziehung lebt. Systemische Seelsorge (und Trauerbegleitung) hat immer den einzelnen Menschen (in seinen/ ihren jeweiligen Beziehungen) und Netzwerke menschlicher Beziehungen (und die einzelnen Menschen, die darin verknüpft sind) im Blick. Stirbt ein Mensch, so sind immer andere Menschen mit-betroffen. Als Theologin und Seelsorgerin ist für mich Gott/ das Göttliche eine Dimension, die in das Beziehungsnetzwerk mit hineingeknüpft ist. Auch diese Beziehung ändert sich/ kann sich durch den Tod ändern. Die Theodizee-Frage wird gestellt. Hier sind Trauernde mir zu theologischen Lehrer*innen geworden.
Was ist zu beachten, wenn ich eine muslimische Patientin besuche? Wie begleite ich eine russlanddeutsche Familie in einer Trauersituation? Interkulturelle Seelsorgesituationen verunsichern leicht, weil einzelne Faktoren in der Seelsorgebegegnung unvertraut sind. Die Sprache kann trennen, das Setting kann ungewohnt sein, die gegenseitigen Erwartungen sind nicht geklärt. („Will der jetzt, dass ich ihm aus dem Koran vorlese?“)
Eine pastoralpsychologisch ausgerichtete interkulturelle Seelsorge ermöglicht mir, meinen Fokus auf die konkrete Situation zu setzen. Ich widme mich den beteiligten Personen und ihren Anliegen, ohne dabei eigenen Zielen nachzugehen. Die Themen, Fragen, Krisen, die meinem Gegenüber wichtig sind, bekommen Raum und werden begleitet. Die verunsichernden Anteile werden als Teil der Situation einbezogen. („Ich frage mich, ob Sie möchten, dass Ihnen aus dem Koran rezitiert wird.“).
In einer interkulturellen Seelsorgesituation gilt es, die Annäherungen an die - mal mehr mal weniger vertrauten – Verhaltensweisen und Werte, d.h. die religiösen und kulturellen Erfahrungen und Einstellungen meines Gegenübers, mithilfe von sozialwissenschaftlichen Methoden in den Blick zu nehmen. Von Bedeutung ist, die eigenen Zuschreibungen über Unvertrautes als Teil des Verstehensprozesses einzubeziehen und zu reflektieren. Dazu gehören unterschiedliche Rollenerwartungen, Diskriminierungserfahrungen, strukturelle Dynamiken ebenso wie unterschiedliche gesellschaftliche Positionen. Auch die individuell ausgestalteten Inkulturationslösungen sind relevante Hinweise. Wenn sich jemand als Mitglied einer ausgegrenzten Minderheit sieht und sich zu schützen meint, wird dies seine Wahrnehmung und sein Verhalten in Krisen anders beeinflussen. Anders verhält sich jemand, der hier Erlebtes als für sich befreiend und wohltuend erlebt. Da Fremdes und Unvertrautes bei allen Beteiligten verschiedene emotionale Reaktionen auslösen, bin ich als Seelsorgerin in einer interkulturellen Seelsorgesituation besonders gefordert. Verunsichernde Fremdheitserfahrungen gehören dazu. Das erfordert eine spezifische Ambiguitätstoleranz, um mehrdeutige Situationen oder widersprüchliche Handlungsweisen auszuhalten. Weil in diesen Situationen verschiedene Werte und Haltungen zusammentreffen, ist ein geistesgegenwärtiges Improvisieren, d.h. das Anpassen an die sich ergebene Situation, einzuüben.
Mit einer ambiguitätstoleranten, kultursensiblen Haltung eröffne ich meinem Gegenüber einen geschützten Raum, um Neues zuzulassen. Das kann besonders auch, schamhaft Belastendes, Angstvolles oder Beschwerendes sein. So begleitet kann die Person nach einem eigenen, für sie passenden Weg, suchen. Als Seelsorgerin stelle ich mich hierbei in einer pendelnden Haltung zwischen Nähe und Distanz (M. Nadig) zur Verfügung: die empathische Nähe macht in der krisenhaft erlebten Situation erfahrbar, mit den Beschwernissen, die oft sonst kaum wahrgenommen werden, gesehen zu werden. Die im Pendeln stetig wieder eingenommene Distanz ermöglicht mir den Einsatz der erlernten reflexiven und analysierenden Methoden. Die eigenen Analysen und Reflektionen können in Form von hilfreichen Rückmeldungen und Fragen für mein Gegenüber (und mich) neue Rollen, Einstellungen oder Haltungen ermöglichen. Diese werden in der Pendelbewegung bei wieder eingenommener Nähe angeboten und gegebenenfalls wieder überprüft und verändert. Auszuhalten ist hierbei, dass zuweilen gänzlich andere, als die mir vertrauten oder auch mir als sinnvoll erscheinenden Entscheidungen getroffen werden. Dies gilt bekanntlich für jede seelsorgliche Begegnung, tritt aber in interkulturellen oft prägnanter zutage.
Das Gleichnis von der syrophynizischen Frau (Mk 7, 24-30) erinnert mich daran, dass Gottes Zuwendung keine kulturellen oder religiösen Grenzen kennt. Gottes Zuwendung richtet sich an alle Menschen, unabhängig von ihrer nationalen, kulturellen oder auch religiösen Zugehörigkeit. Dies verweist mich auch in der Seelsorge auf einen interkulturellen und interreligiösen Weitblick.
Die Menschwerdung Gottes versinnbildlicht für mich, dass wir auch in der Seelsorge Nähe und Verständnis zu anderen aufbauen und dafür verschiedene Zugänge zu Menschen, d.h. auch humanwissenschaftliche Methoden nutzen können, ja müssen. Denn darin lassen wir die Hinwendung Gottes zum Menschen in unserer Haltung und unserer Anteilnahme spürbar werden. Dies wird für die anderen erlebbar, indem wir neben unseren religiösen Kenntnissen, die Religion als Ressource spürbar werden lassen, auch sozialwissenschaftliche Erkenntnisse und psychologische Methoden zum Verstehen und zum Umgang mit Krisen einbeziehen. Entsprechend gibt es unterschiedliche, z.T. sich ergänzende Methoden, die in der Sektion GOS zum Einsatz kommen. Sie sind in einer interkulturellen Seelsorgesituation hilfreich, um fremde Systeme zu erfassen und um stereotype, klischeehafte Zuschreibungen zu vermeiden.
Pastorin Dr. Christina Kayales,
Arbeitsstelle Kultursensibilität, interreligiöse Zusammenarbeit und Seelsorge, Ev.-Luth. Nordkirche
www.kultursensibel.de
Deutsche Gesellschaft für Pastoralpsychologie e.V.
Huckarder Str. 10-12, Union Gewerbehof
D-44147 Dortmund
Telefon: +49 (0)231 14 59 69
Mobil: +49 (0)178 5082 535
© Copyright 2024 Deutsche Gesellschaft für Pastoralpsychologie e.V.